Montagmorgen
An meinem Schreibtisch sitzen Herr Muss, Frau Soll und ihr Sohn, der penetrante Konjunktiv namens Könnte.
Herr Muss trägt einen korrekt sitzenden schwarzen Anzug. Seine Frau hingegen sieht gehetzt aus. Ihre Frisur ist derangiert und die Ohrringe passen nicht ganz zu ihrer Kleidung. Der Sohn lümmelt sich in stylishen Hip-Hop Klamotten frech auf meiner Couch.
„Sie müssen Ihre Rechnungen zahlen“, sagt Herr Muss mit scharfer Stimme und erinnert mich sofort an einen Buchhalter.
„Aber zuerst sollten Sie aufräumen“, sagt seine Frau. „Es ist noch früh. Sie sollten spülen, Wäsche waschen, saugen und einkaufen. Danach sollten Sie die Rechnungen bezahlen.“
Der lümmelnde Sohn kaut laut schmatzend auf seinem Kaugummi.
„Ihr seid ja solche Spießer“, sagt er genervt. „Erst einmal könnte sie shoppen gehen, dann könnte sie in einem Café abhängen und sich mit Leuten treffen. Danach könnte sie vielleicht zur Arbeit gehen, aber müssen tut sie nix und vielleicht sollte sie tun, was ihr sagt, aber sie könnte es auch bleiben lassen und chillen.“ Er grinst selbstzufrieden.
Seine Zähne könnten auch mal wieder geputzt werden, denke ich und unterbreche gleich die aufkommende Diskussion zwischen Eltern und Sohn mit den Worten: „Ich freue mich sehr, dass Sie wieder einmal meine Gäste sind“, bemüht höflich. „Meine Probleme sind Ihnen ja bekannt, grundsätzlich aber wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nicht immer zu dritt erscheinen würden. Denn das führt zwangsläufig immer zu Streit.“
Könnte steht von der Couch auf und schlendert lässig auf mich zu. Es irritiert mich.
„Also einer von Ihnen ist genug für einen Montagmorgen …“, versuche ich, beim Thema zu bleiben, doch Könnte bleibt hinter mir stehen, stützt seinen wohltrainierten Arm auf den Rand meines Schreibtisches, beugt sich über meine Schulter und säuselt schmatzend in mein Ohr. „Hey Süße, wie wär´s denn nur mit uns zwei? Wir wären ein super Team. Ich könnte alle deine Wünsche erfüllen, deine geheimsten Träume.“
„Äh… danke, aber ich weiß nicht …“, stottere ich. Hat er immer schon so gut gerochen?
„Du solltest sofort verschwinden“, fährt ihn seine Mutter an. „Der Tag hat gerade erst begonnen.“
„Du musst endlich lernen, wie es im wirklichen Leben zugeht“, erklärt der Vater seinem Sohn. „Eine Frau muss ihren Mann stehen und darf sich nicht von einem Nichtsnutz wie dir ihr Leben vergeuden lassen.“
„Wenn sie wollte, dass ich ginge, würde ich es tun“, haucht der Konjunktiv in meinen Nacken. Ich bekomme eine Gänsehaut und frage mich, was ich eigentlich will. Frau Soll erhebt sich und reißt ihren Sohn von mir weg.
„Du solltest dich schämen“, sagt sie erbost. Sein Benehmen ist ihr offensichtlich peinlich, schließlich sind sie ja beauftragt, mir zu helfen. Entschlossen nehmen Herr Muss und Frau Soll ihren Sohn in die Mitte und halten ihn an beiden Armen fest.
„So!“, sagt Herr Muss. „Er wird Sie nicht mehr belästigen. Jetzt müssen Sie endlich die Rechnung bezahlen.“
„Dann sollten Sie Ihren Arbeitstag vorbereiten und sich hübsch machen. Nichts ist wichtiger, als ein guter Eindruck“, fügt Frau Soll hinzu und versucht dabei, mit einer Hand ihre Frisur zu richten.
„Aha“, sage ich. „Danke.“
Ich bin nicht wirklich zufrieden mit den Vorschlägen, aber entschließe mich, diesen Folge zu leisten. Das Ehepaar Muss-Soll jedoch scheint höchst glücklich zu sein, mein Problem dann doch zügig gelöst zu haben, und mit zwei leisen Puffs lösen sie sich in Luft aus.
„Wir könnten jetzt alles tun, was wir wollen“, sagt der penetrante Konjunktiv mit verführerischer Stimme.
„Ja“, antworte ich. „Das könnten wir, wenn ich nicht schon diese Geschichte geschrieben hätte.“
Geschrieben am 12.11.2007